Der Agile Quality Coach verspricht, Scrum Master und Qualitätsverantwortliche in einer Rolle zu vereinen. Doch ist diese Entwicklung sinnvoll? Ein kritischer Blick auf die Zukunft dieses Rollenbildes.
In der immer dynamischer werdenden IT-Welt sind agile Teams zur Norm geworden und mit ihnen haben sich auch die Berufsbilder rasant entwickelt. Wo früher Testmanager und klassische Qualitätssicherung in der IT unverzichtbar waren, haben agile Methoden und crossfunktionale Teams diese Rollen vielfach neu definiert. Eine der kontrovers diskutierten neuen Rollen ist der Agile Quality Coach – ein hybrider Ansatz, der die Funktionen von Scrum Master, Agile Coach und Qualitätsverantwortlichem kombiniert. Doch wird diese Rolle wirklich benötigt? Oder ist sie nur eine temporäre Brücke in der Entwicklung agiler Teams?
Der Agile Quality Coach ist eine Mischung aus Scrum Master, Agile Coach und Qualitätsverantwortlichem. Die Hauptaufgabe besteht darin, agile Teams sowohl methodisch als auch in Bezug auf die Qualitätssicherung zu unterstützen. Diese Rolle fördert die kontinuierliche Verbesserung, sorgt dafür, dass Qualität im gesamten Entwicklungsprozess verankert wird und führt agile Methoden effektiv ein.
Abbildung 1: Der Agile Quality Coach – das Beste aus drei Welten
Hauptaufgaben des Agile Quality Coach:
• Coaching von Teams in agilen Methoden wie Scrum, SAFe, LeSS, etc.
• Qualitätssicherung durch moderne Teststrategien und Metriken
• Mentoring zur Steigerung der Selbstorganisation und Eigenverantwortung
• Integration von kontinuierlichen Verbesserungen in den Entwicklungsprozess
Ein starkes Argument für den Agile Quality Coach ist, dass er das Beste aus drei Welten vereint. Die Kombination der Scrum-Master-Aufgaben mit der Qualitätsverantwortung soll zu einer effizienteren Teamarbeit führen, indem Qualität und agile Prozesse nicht mehr separat, sondern als integriertes Ziel betrachtet werden.
1. Kohärenz zwischen Prozess und Qualität: Scrum Master fokussieren sich primär auf die Optimierung des Prozesses, während Qualitätsverantwortliche den Schwerpunkt auf die Prozess- und Produktqualität legen. Der Agile Quality Coach bringt beides zusammen und sorgt für eine ganzheitliche Sicht, in der Effizienz und Qualität Hand in Hand gehen.
2. Vermeidung von Doppelarbeit: In agilen Teams kommt es oft zu Überschneidungen zwischen Scrum Master und Qualitätsverantwortlichen. Ein Agile Quality Coach könnte diese Redundanzen beseitigen und die Teams auf eine klare Richtung fokussieren: ein ausgewogenes Verhältnis zwischen schneller Lieferung und hoher Qualität.
3. Brücke zwischen Theorie und Praxis: Während ein Scrum Master den Fokus auf den agilen Prozess legt, hilft der Agile Quality Coach dabei, praktische Qualitätsstrategien zu entwickeln und umzusetzen. Er verbindet die agile Theorie mit realen Anwendungsfällen und stellt sicher, dass Qualitätsstandards im Team verankert werden.
So überzeugend die Idee eines Agile Quality Coach auch ist, es gibt kritische Stimmen, die den Nutzen dieser Rolle infrage stellen – insbesondere, wenn sie den Scrum Master ersetzen soll.
1. Verlust der Fokussierung auf agile Prozesse: Der Scrum Master ist dafür verantwortlich, das Team auf den agilen Weg zu bringen und Prozesshindernisse zu beseitigen. Ein Agile Quality Coach könnte in der Doppelrolle überfordert sein und den agilen Prozess vernachlässigen, weil der Fokus zu stark auf der Qualitätssicherung liegt.
2. Überladung der Rolle: Die Anforderungen an den Agile Quality Coach sind immens. Die gleichzeitige Expertise in Coaching, agilen Methoden, Teststrategien und Qualitäts-Metriken könnte zu einer Überforderung der Rolle führen. In grossen und komplexen Projekten kann dies die Qualität beeinträchtigen, da sich der Coach zu stark in die technischen Details vertieft, anstatt das Team als Ganzes zu betreuen.
3. Verantwortung im gesamten Team: In einem idealen agilen Team wird Qualität von jedem Mitglied getragen. Ein zusätzliches Rollenprofil oder die Integration dieser Aufgabe in die Scrum Master Rolle könnte die Teams eher von ihrer Eigenverantwortung entlasten, als sie zu stärken.
Die Zukunft der agilen Qualitätssicherung könnte in der Rolle des Agile Quality Coach liegen, besonders in grossen Organisationen und komplexen Projekten, in denen Qualität und agile Prozesse in Einklang gebracht werden müssen. Es könnte eine Rolle sein, die den Scrum Master nicht nur ergänzt, sondern ihn langfristig ersetzt. Der Agile Quality Coach würde dann die zentrale Anlaufstelle für Prozessoptimierung und Qualitätssicherung sein – eine Fusion von Aufgaben, die aktuell noch getrennt wahrgenommen werden.
Allerdings bleibt die Frage offen, ob agile Teams in Zukunft eine so starke Unterstützung in Sachen Qualität benötigen oder ob sie in der Lage sein werden, diese Aufgaben vollständig in eigener Verantwortung zu übernehmen. In einer idealen Zukunft agiler Teams wäre die Rolle des Scrum Masters (und damit auch des Agile Quality Coach) möglicherweise überflüssig, da autonome Teams sowohl ihre Prozesse als auch ihre Qualität eigenständig verwalten.
Der Agile Quality Coach hat das Potenzial, die Arbeitsweise agiler Teams zu revolutionieren, indem er die Aufgaben des Scrum Masters und des Qualitätsverantwortlichen in einer Rolle bündelt. Diese Rolle könnte in komplexen Umgebungen zu effizienteren Prozessen und besserer Produktqualität führen. Doch es besteht die Gefahr, dass durch die Überladung der Rolle der Kern des agilen Ansatzes – die Selbstorganisation – geschwächt wird.
Die entscheidende Frage bleibt: Werden agile Teams in Zukunft auf Coaches dieser Art angewiesen sein oder entwickeln sie sich weiter zu vollständig selbstorganisierten und qualitätsbewussten Einheiten, die keinen Agile Quality Coach mehr benötigen?
«Als Bereichsleiter und externer Consultant mit über zwei Jahrzehnten Erfahrung in verschiedenen QS-Rollen habe ich die Entwicklung der Qualitätssicherung in grossen Schweizer Unternehmen intensiv begleitet. Die Zukunft der QS-Rollen in einer zunehmend agilen und AI-getriebenen Welt ist ein Thema, das AKROS und mich besonders beschäftigt.»